Aktuelles


Seniorenmitwirkungsgesetz

Lackmustest für CSU und FW

Im Koalitionsvertrag von CSU und Freie Wähler vom 05.11.2018 heißt es auf S. 17 (Unterabschnitt „Für ein gutes Miteinander und eine gerechte Arbeitswelt“): „Um die Belange aktiver Seniorinnen und Senioren besser zu vertreten, werden wir ein Bayerisches Seniorenmitwirkungsgesetz auf den Weg bringen.“


Wie aus dem Bayerischen Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales zu erfahren war, soll mit den Vorarbeiten zu diesem Gesetz in den nächsten Monaten begonnen werden. Als erster Schritt seien vier Regionalkonferenzen (Neudeutsch: Werkstattgespräche) geplant, zu denen auch Vertretungen der örtlichen Seniorenräte/Seniorenbeiräte sowie Vertretungen des Vorstandes der LandesSeniorenVertretung Bayern e. V. eingeladen werden sollen.
Aus diesem Grunde sollen im Folgenden zunächst die von der LSVB erarbeiteten Eckpunkte des Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der politischen Gestaltungsrechte der älteren Bevölkerung Bayerns vorgestellt werden. Im zweiten Teil wird vor allem a­hand der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschluss vom 26.10.1964 – 2 BvR 445/ 91 –) begründet, warum das von der LSVB angedachte Seniorenmitwirkungsgesetz nicht gegen das kommunale Selbstverwaltungsrecht verstoßen würde.


Gesetzentwurf der LSVB (Eckpunkte)
Örtliche Ebene

• In allen kreisfreien Städten und allen kreisangehörigen Gemeinden werden Seniorenräte einrichtet. Soweit in kleineren kreisangehörigen Gemeinden ausnahmsweise die Einrichtung eines Seniorenrates nicht zweckmäßig ist, ernennt der Gemeinderat zwei Seniorenvertreter*innen, die die Aufgaben eines Seniorenrates wahrnehmen.
• Die Seniorenräte werden von den Gemeinden im Rahmen ihrer Leistungsfähigkeit sächlich und finanziell angemessen ausgestattet.
• Die Gemeinden beteiligen die Seniorenräte in allen die älteren Menschen betreffenden grundsätzlichen Angelegenheiten (Anhörungsrecht.) Die Seniorenräte haben das Recht, sich mit Anträgen und Anfragen an ihre Gemeinde zu wenden. Ihnen ist die Möglichkeit zu geben, ihre Anträge in den zuständigen Gremien der Gemeinden mündlich zu begründen.
• Größe der Seniorenbeiräte und Wahlverfahren werden von den Gemeinden durch Satzung festgelegt.
• Die Erarbeitung und Umsetzung eines seniorenpolitischen Gesamtkonzeptes wird Pflichtaufgabe der Gemeinden.


Landesebene
• Auf Landesebene wird ein Landesseniorenrat (LSR) eingerichtet. Er ist sächlich und finanziell angemessen auszustatten; die hierfür erforderlichen Mittel sind im Haushalt des Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Soziales (EPl. 10) bereitzustellen.
• Der LSR unterstützt die Arbeit der örtlichen Seniorenräte. Er nimmt die berechtigten Interessen der älteren Bevölkerung auf Landesebene wahr und vertritt deren Interessen gegenüber dem Bayerischen Landtag, der Bayerischen Staatsregierung und allen Verbänden, Vereinigungen und Unternehmen, die auf Landesebene in Angelegenheiten der älteren Menschen involviert sind. Dies schließt die Durchführung von Kongressen, Fachtagungen, Anhörungen und eine überörtliche Presse- und Öffentlichkeitsarbeit ein.
• Der LSR ist von den bayerischen Staatsministerien und der bayerischen Staatskanzlei in allen die älteren Menschen betreffenden grundsätzlichen Angelegenheiten zu beteiligen (Anhörungsrecht.)
• Die Wahl der Mitglieder des LSR erfolgt durch die örtlichen Seniorenräte. Gewählt werden kann nur, wer auch Mitglied in einem örtlichen Seniorenrat ist.

Im Übrigen
Der Gesetzentwurf der LSVB enthält ferner zwei Vorschläge zur Änderung der Bayerischen Verfassung. Zum einen soll in Art. 83 BV klargestellt werden, dass zu den Kernaufgaben der Kommunen auch „die Belange der älteren Menschen“ gehören. Zum anderen soll in der BV zum Ausdruck gebracht werden, dass niemand wegen seines Alters diskriminiert werden darf und Jeder das Recht hat, in Würde alt zu werden; auch ältere Menschen sollen ihre Lebensweise frei wählen und sich aktiv am öffentlichen, sozialen und kulturellen Leben beteiligen können.


Eingriff in das kommunale Selbstverwaltungsrecht?
Diese Frage stellt sich unbestrittener Maßen nur im Zusammenhang mit der Einrichtung der örtlichen Seniorenräte.

Gem. Art. 11 Abs. 2 Satz der Bayerischen Verfassung (BV) haben die Gemeinden das Recht, ihre eigenen Angelegenheiten im Rahmen der Gesetze selbst zu ordnen und zu verwalten. Inhaltlich das Gleiche folgt aus Art. 28 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes (GG), der feststellt, dass den Gemeinden das Recht gewährleistet sein muss, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Hiernach ist es grundsätzlich Sache der Gemeinden, ob, wann und wie sie die Aufgaben des eigenen Wirkungskreises wahrnehmen wollen. Diese Eigenverantwortlichkeit der Wahrnehmung der Aufgaben des eigenen Wirkungskreises umfasst u. a. die Finanzhoheit und die Organisationshoheit.

Ein Verstoß gegen die Finanzhoheit scheidet schon deswegen aus, weil nach dem Gesetzentwurf die sächliche und finanzielle Ausstattung der Seniorenräte im Ermessen der jeweiligen Gemeinde liegt, also sich nach der Leistungsfähigkeit der jeweiligen Kommune richtet.

Das kommunale Selbstverwaltungsrecht garantiert den Gemeinden zwar die Möglichkeit, die Aufgaben des eigenen Wirkungskreises eigenverantwortlich wahrzunehmen. Für die Organisationshoheit gilt jedoch nicht ein Prinzip der „Allzuständigkeit“, nach dem die Gemeinden grundsätzlich alle Fragen ihrer Organisationshoheit selbst zu entscheiden hätten. Auch bedarf nicht jede staatliche Vorgabe einer spezifischen Rechtfertigung. Das Kommunalrecht setzt mit seinen zahlreichen Regelungen zur Organisation der Gemeinden vielmehr eine weitgehende Befugnis des staatlichen Gesetzgebers voraus, der Regelungen von Organisationsstrukturen seine Vorstellungen zugrunde zu legen. Die Organisationshoheit ist mithin von vornherein nur relativ gewährleistet.

Durch organisationsrechtliche Entscheidungen wird über Gewichtung und Qualität der Aufgabenerledigung in nicht unerheblichem Umfang mitentschieden. Die Befugnis des Gesetzgebers, den Gemeinden Vorgaben zu ihrer Organisation zu machen, verschafft diesem daher mittelbar auch Einfluss auf die Aufgabenerledigung. Dies ist mit der Regelungskompetenz des Gesetzgebers zur Organisation der Gemeinden unausweichlich verbunden und auch gewollt. Durch die Möglichkeit organisatorischer Rahmensetzungen soll der Gesetzgeber auf eine effektive Aufgabenerledigung durch die Gemeinden hinwirken können (BVerfG, a. a. O., RdNr. 37.)

Der Gesetzgeber ist jedoch verpflichtet, bei der Ausgestaltung des Kommunalrechts den Gemeinden eine Mitverantwortung für die organisatorische Bewältigung ihrer Aufgaben einzuräumen. Den Gemeinden müssen also nennenswerte organisatorische Befugnisse verbleiben; es muss ihnen ein hinreichender organisatorischer Spielraum bei der Wahrnehmung der einzelnen Aufgabenbereiche offengehalten werden.
Allen diesen Anforderungen trägt der von der LSVB vorgelegte Gesetzentwurf Rechnung:
Er verpflichtet die Gemeinden allein in einem bestimmten Sachbereich, nämlich im Bereich der Teilhabe der Senioren*innen am kommunalpolitischen Leben, in sich begrenzte Organisationsmaßnahmen zu ergreifen, lässt die Befugnis der Gemeinden zur organisatorischen Regelung ihrer Angelegenheiten im Übrigen aber unberührt.
Der Gesetzentwurf beschränkt sich darauf, den allgemeinen organisatorischen Rahmen der Gemeinden punktuell näher auszuformen. Auch in Verbindung mit anderen Vorschriften der Gemeindeordnung erstickt der Gesetzentwurf die organisatorischen Handlungsmöglichkeiten der Kommunen nicht. Er fügt diesen Vorschriften nur eine weitere hinzu, die sich von sonstigen im Kommunalrecht bekannten Vorgaben wie etwa der Verpflichtung zur Einrichtung eines Jugendamtes (Art. 16 Abs. 1 AGSG) oder der Bildung eines Rechnungsprüfungsausschusses (Art. 103 Abs. 2 GO) nicht grundlegend unterscheidet.

Der Gesetzentwurf der LSVB genügt auch den Anforderungen, die über die Beachtung des Kernbereichs des kommunalen Selbstverwaltungsrechts hinaus gelten. Die den Gemeinden verbleibenden organisatorischen Befugnisse für eine selbst gestaltete Aufgabenwahrnehmung im Bereich kommunaler Altenpolitik tragen der Eigenverantwortlichkeit der Gemeinden in vertretbarer Weise Rechnung.

Den Gemeinden bleibt für eine eigene Politik und ihre Aufgaben im Bereich der Altenpolitik ein hinreichender organisatorischer Spielraum. Die Gemeinden sind nicht gehindert, für den Bereich der Senioren*innen effektiv eigene organisatorische Maßnahmen zu treffen und auf die Besonderheiten der örtlichen Verhältnisse zu reagieren. So bleibt es beispielsweise den Gemeinden unbenommen, ein Seniorenamt einzurichten oder einen hauptamtlichen Seniorenbeauftragten zu bestellen.

Schließlich und vor allem aber verbleibt den Gemeinden unverändert die Organisation der Stellen, die zu verbindlichen Sachentscheidungen in Senioren*innen-Fragen berufen sind. Den Seniorenräten sind keinerlei Entscheidungsbefugnisse beigelegt, die für andere Verwaltungsstellen oder die Bürger*innen verbindlich wären. Zwar sind die Seniorenräte an Entscheidungsprozessen zu beteiligen und zu hören und können auch eigenverantwortlich Öffentlichkeitsarbeit und Beratungstätigkeit durchführen.
Zu bindenden Entscheidungen sind sie aber nicht berechtigt. Diese werden von den bisher zuständigen Stellen getroffen, über deren Organisation die Gemeinden nach wie vor im Rahmen der diesbezüglich unverändert fortgelten Vorschriften entscheiden können.

Auch das Demokratieprinzip wird durch den Gesetzentwurf der LSVB nicht verletzt. Die von den Seniorenräten wahrzunehmende Funktion beschränkt sich darauf, allein durch die Kraft des Arguments für die Belange der älteren Menschen in der Gemeindeverwaltung und der Öffentlichkeit einzutreten.
Ich hoffe sehr, dass sich Bayerische Staatsregierung sowie die CSU-Fraktion und die Fraktion der Freien Wähler im Bayerischen Landtag die Argumentation des Bundesverfassungsgerichts zu Eigen machen und diese ohne Wenn und Aber gegenüber den Kommunalen Spitzenverbänden vertreten. Die LSVB wird sie hierbei nach besten Kräften unterstützen.
Aufgrund der bisher geführten Gespräche bin ich (noch) zuversichtlich, dass die Mehrheit im Bayerischen Landtag ein Seniorenmitwirkungsgesetz verabschiedet, das diesen Namen auch verdient.

Franz Wölfl, Vorsitzender der LSVB

Den Gesetzentwurf können Sie hier downloaden